Ikarus 55 – der selbsttragende Autobus in Stromform für den Überlandverkehr

Bei dem für unsere Ausfahrt ins Vogtländische am 18.April 2015 angemieteten Bus handelte es sich um eines der wenigen überlebenden Exemplare der Ikarus-Baureihe 55/66, welche von 1952 bis 1973 in fast 16.700 Exemplaren (über 7.400 Typ 55 und über 9.200 Typ 66) die Budapester Werkshallen verließ.

Diese in mehrfacher Hinsicht als Meilensteine des osteuropäischen Omnibusbaus geltenden Fahrzeuge (selbsttragende Karosserie, Heckmotor, Stromlinienform und Baukastensystem für Variantenreichtum) bildeten das Rückgrat des DDR-Kraftverkehrs.
Besonders die Nah- und Regionalverkehrsversion 66 war in der DDR allgegenwärtig, wurden doch unglaubliche 5.900 von gesamt über 9.200  gebauten Einheiten an den befreundeten deutschen Hauptabnehmer geliefert.

Als Typ 55 wird die Reisebusvariante bezeichnet, welche über den gleichen Motor wie der Stadtbus verfügt.
Dabei handelte es sich um einen 6-Zylinder-Viertakt-Dieselmotor Marke Csepel (ungarischer LKW-Hersteller ) mit anfangs 7.983 ccm Hubraum und 125 PS, welcher ab 1959 durch einen Motor gleicher Bauart mit 8.276 ccm und 145 PS ersetzt wurde.

Diese den damaligen internationalen Standards entsprechende  Konstruktion mit Gemischaufbereitung im Wirbelkammerverfahren basiert auf einer 1950 vergebenen Lizenz des österreichischen LKW-, Bus-, und vormaligen PKW-Produzenten Steyr.
Leider haben diese Motorversionen die Zeiten des harten täglichen Einsatzes nicht überlebt und mussten bei für heutige Verhältnisse astronomischen Nutzungszeiten von oftmals über 20 Jahren im Rahmen von sog. Generalüberholungen aus Materialmangel und Rationalisierungsgründen gegen 6-Zylinder-Dieselmotoren aus DDR-Produktion ausgetauscht werden.
Auch das von uns genutzte, 1962 gebaute Exemplar wurde auf diesen 9.480 ccm großen, 140 kW starken Selbstzünder aus Schönebeck bei Magdeburg umbebaut.

Das Fahrzeug wurde als sog. „Scheunenfund“ zwischen 1995 und 1997 von den Schlossern der betriebseigenen Werkstatt der Regiobus Mittweida optisch und technisch in den Originalzustand (d.h. Zustand nach Generalreparatur) versetzt.
Die pneumatische Kupplungsbetätigung (ab 1965 hydraulisch) wurde dabei genauso beibehalten wie die Vorderachskonstruktion ohne jegliche Lenkhilfe, diese wurde erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre mit ebenfalls pneumatischer Unterstützung verbaut.
Erst jetzt, mit dem Abstand von über 25 Jahren, sieht man, daß das was viele von uns tagtäglich bewegte doch auch etwas besonderes war, ein Schicksal, welches fast jeder Klassiker teilt.

Vom alteingesessenen 1895 gegründeten Budapester Unternehmen, das ab 1920 Fahrzeuaufbauten und ab 1924 Autobuskarosserien baute, sich in kommunistischen Zeiten durch RGW-Beschluss auf Stadt-, Vorstadt- und Reisebusse spezialisierte, ist im Jahr 2015 und nach knapp 300.000 gebauten Omnibussen nichts mehr geblieben.
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen wundervollen Ausflug mit einem außergewöhnlichen Fahrzeug, produziert von dem zeitweise größten Bushersteller der Welt, der im Jahre 2004 seine Tore wahrscheinlich für immer schließen musste.

Ikarus 55
© Ralf Christian Kunkel